«Gott hat ihn gestraft und hat ihn in eines Weibes Hände gegeben.»
Buch Judith 16. Kap. 7.
Ich hatte liebenswürdige Gesellschaft.
Mir gegenüber an dem massiven Renaissancekamin saß Venus. Das war aber nicht eme der Halbwelt[1], die unter diesem Namen Krieg gegen das feindliche Gschlecht führte. Sondern es war die wahrhafte Liebesgöttin, gleich Mademoiselle Cleopatra.
Sie saß im Wohnzimmer und hatte ein Feuer angezündet. Sein Widerschein leckte in roten Flammen ihr bleiches Antlitz mit den weißen Augen und von Zeit zu Zeit ihre Füße. Sie versuchte zu wärmen.
Ihr Kopf war wunderbar, obwohl sie tote Steinaugen hatte. Aber das war auch alles, was ich von ihr sah. Die herrliche Dame hatte ihren Marmorleib in einen großen Pelz gewickelt. Sie hat sich zitternd wie eine Katze zusammengerollt.
«Ich verstehe nicht, gnädige Frau», rief ich, «es ist doch nicht mehr kalt. Wir haben seit zwei Wochen den herrlichsten Frühling. Sie sind offenbar nervös.»
«Ich danke für euer Frühjahr», sprach sie mit tiefer steinerner Stimme und nieste gleich himmlisch. Und zwar zweimal rasch nacheinander; «da kann ich es nicht aushalten. Und ich fange an zu verstehen —»
«Was, meine Gnädige?»
«Ich fange an das Unglaubliche zu glauben, das Unbegreifliche zu begreifen. Ich verstehe auf einmal die germanische Frauentugend und die deutsche Philosophie. Ich erstaune auch nicht mehr, dass ihr im Norden nicht lieben könnt. Ihr habt ja nicht einmal eine Ahnung davon, was Liebe ist.»
«Erlauben Sie, Madame», antwortete ich aufbrausend, «ich habe Ihnen keine Ursache gegeben.» Nun Sie… Die Göttliche nieste zum dritten Mal und zuckte mit Grazie die Achseln. «Nun dafür bin ich auch immer gnädig gegen Sie gewesen. Ich besuche Sie sogar von Zeit zu Zeit, obwohl ich mich jedesmal rasch erkälte. Erinnern Sie sich noch, wie wir uns das erstmal trafen?»
«Wie könnte ich es vergessen», sagte ich. «Sie hatten damals reiche braune Locken und braune Augen und einen roten Mund. Aber ich erkannte Sie doch sogleich an dem Schnitt Ihres Gesichtes und an dieser Marmorblässe. Sie trugen eine veilchenblaue Samtjacke.»
«Ja, Sie waren ganz verliebt in diese Toilette.»
«Sie haben mich gelehrt, was Liebe ist. Ihr heiterer Gottesdienst ließ mich zwei Jahrtausende vergessen[2]. Und wie beispiellos vertraue ich Ihnen!»
«Nun, was die Treue betrifft —»
«Undankbarer!»
«Ich will Ihnen keine Vorwürfe machen. Sie sind zwar ein göttliches Weib, aber doch ein Weib. Und in der Liebe grausam wie jedes Weib.»
«Sie nennen grausam», sagte die Liebesgöttin lebhaft. «Was das Element der Sinnlichkeit, der heiteren Liebe, die Natur des Weibes ist, sich hinzugeben, wo es liebt, und alles zu lieben, was ihm gefällt[3].»
«Gibt es für den Liebenden etwa eine größere Grausamkeit als die Treulosigkeit von den Geliebten?»
«Ach!» – antwortete sie. «Wir sind treu, so lange wir lieben. Aber ihr verlangt vom Weib Treue ohne Liebe, und Hingebung ohne Genuss. Wer ist da grausam? Das Weib oder der Mann? Ihr nehmt im Norden die Liebe überhaupt zu wichtig und zu ernst. Ihr sprecht von Pflichten, wo nur vom Vergnügen die Rede sein sollte.»
«Ja, Madame, wir haben dafür auch sehr achtbare und tugendhafte Gefühle und dauerhafte Verhältnisse.»
«Und doch diese ungesättigte Sehnsucht nach dem nackten Heidentum», fiel Madame ein. «Aber jene Liebe, welche die höchste Freude, die göttliche Heiterkeit selbst ist, taugt nicht für euch Modernen, euch Kinder der Reflexion[4]. Sie bringt euch Unheil. Sobald ihr natürlich sein wollt, werdet ihr gemein. Euch erscheint die Natur als etwas Feindseliges. Ihr habt aus uns Göttern Griechenlands, Dämonen, aus mir eine Teufelin gemacht. Ihr könnt mich nur bannen und verfluchen oder euch selbst in bacchantischem Wahnsinn[5] vor meinem Altar als Opfer schlachten. Und hat einmal einer von euch den Mut gehabt, meinen roten Mund zu küssen? So pilgert er dafür barfuß nach Rom und erwartet Blüten von dem dürren Stock. Unter meinem Fuß wachsen zu jeder Stunde Rosen, Veilchen und Myrten. Aber ihr bekommt Duft nicht. Euch bleibt nur in eurem nordischen Nebel und christlichem Weihrauch. Lasst uns Heiden unter den Trümmern, unter der Lava ruhen. Grabt uns nicht aus. Für euch wurde Pompeji, für euch wurden unsere Villen, unsere Bäder, unsere Tempel nicht gebaut. Ihr braucht keine Götter! Uns friert in eurer Welt!» Die schöne Marmordame hustete und zog die dunkeln Zobelfelle um ihre Schultern noch fester zusammen.
«Wir danken für die klassische Lektion», antwortete ich. «Aber Sie können doch nicht leugnen, dass Mann und Weib von Natur Feinde in Ihrer heiteren sonnigen Welt ebenso gut wie in unserer nebligen sind. Die Liebe vereint für die kurze Zeit zu einem einzigen Wesen, das nur eines Gedankens, einer Empfindung, eines Willens fähig ist, um sie dann noch mehr zu entzweien[6]. Und nun wissen Sie es besser als ich. Wer dann nicht unterwirft, wird nur zu rasch den Fuß vom anderen auf seinem Nacken fühlen —»
«Und zwar in der Regel der Mann den Fuß von einem Weib», rief Frau Venus höhnisch, «was Sie wieder besser wissen als ich.»
«Natürlich, und eben deshalb mache ich mir keine Illusionen.»
«Das heißt, Sie sind jetzt mein Sklave ohne Illusionen, und ich werde Sie dafür auch ohne Erbarmen treten.»
«Madame!»
«Kennen Sie mich noch nicht, ja, ich bin grausam, weil Sie denn schon an dem Worte so viel Vergnügen finden. Habe ich nicht recht? Der Mann ist der Begehrende, das Weib das Begehrte[7]. Das ist ein ganzer und entscheidender Vorteil vom Weib. Aber die Natur hat ihm den Mann durch seine Leidenschaft preisgegeben. Und das Weib ist nicht klug, das aus ihm nicht seinen Sklaven, sein Spielzeug macht und ihn lachend verrät.»
«Ihre Grundsätze, meine Gnädige», warf ich entrüstet ein.
«Beruhen auf tausendjähriger Erfahrung», sagte Madame spöttisch. Ihre weißen Finger spielten in dem dunkeln Pelz. «Je hingebender das Weib ist, um so schneller wird der Mann nüchtern und herrisch. Je grausamer und treuloser es aber ist, je mehr es ihn mißhandelt, je frevelhafter es mit ihm spielt, je weniger Erbarmen es zeigt, um so mehr wird es die Wollust vom Mann erregen, von ihm geliebt werden. So war es zu allen Zeiten, seit Helena und Delila, bis zur zweiten Katharina und Lola Montez.»
«Ich kann es nicht leugnen», sagte ich. «Es gibt für den Mann nichts, das ihn mehr reizen könnte, als das Bild von einer schönen, wollüstigen und grausamen Despotin. Sie wechselt ihre Günstlinge übermütig und rücksichtslos nach Laune —»